Das Wollen einstellen

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Es ist bisher in meinem Leben nur wenige Male so weit gekommen, daß ich mein Urlaubmachen als Reisen bezeichnen konnte. Sehnsuchtsvoll betrachte ich in den sozialen Netzwerken und allgemein im Internet die Bilder und Reiseberichte anderer Menschen. Mein Leben fühlt sich im Moment sehr statisch an. Urlaube und kleine Fluchten aus dem Alltag haben Seltenheitswert. Es ist einfach so. Ich weiß, daß sich das irgendwann ändern wird. Bis dahin erfreue ich mich gern an den Erlebnissen aus zweiter Hand, zum Beispiel hier.
Zur Zeit kreisen die Gedanken um den nächsten Sommerurlaub, obwohl das sehr früh im Jahr ist für uns. Langfristige Planungen gestatten unsere Lebensumstände nicht. Mir kommt das entgegen. Ich mag das so. Arbeitswoche und Wochenenden werden durch Kindergarten und Schule definiert. Im Familienleben verwischen die Grenzen, weil unsere Arbeit diese Definition nicht zuläßt. Das birgt Vorteile, ist aber auch anstrengend, weil feste Strukturen es erleichtern, sich selbst zu ordnen und den Überblick zu behalten. Ich fühle mich schnell unwohl, wenn das Leben zu vorhersehbar und geregelt ist, wünsche mir andererseits manchmal oft mehr Ordnung im Kopf.
Im letzten Jahr waren die Ferien kurz für uns. Ein paar wenige Tage nur, die wir am Meer verbrachten. Das Wetter war schön. Es gab keinen Grund, die kurze Zeit, die wir hatten, nicht am Strand zu verbringen. Die ersten zwei Tage fühlte ich mich getrieben. So viele Dinge hatte ich im Hinterkopf, die man machen kann, soll, möchte. Wäre es nicht schön, die Gegend mit dem Fahrrad zu erkunden? Und wollten wir nicht unbedingt an diesem bestimmten Ort Fischbrötchen essen? Wir waren schon öfter hier und wollten noch einige Vorhaben umsetzen, die wir in den Jahren zuvor nicht geschafft hatten oder die sich inzwischen zum Ritual entwickelt haben.
Am zweiten Tag schon mieteten wir den Strandkorb bereits für den Folgetag. Dort saß ich dann mit Blick auf die Balkone eines an der Strandpromenade gelegenen Hotels und konnte nicht aufhören, mich an der Lichtstimmung zu berauschen, die die Sonne auf das weiß gestrichene Holzgeländer eines Eckbalkons zauberte. Die Tageszeiten wurden geordnet durch den Backfisch am Büdchen und dem Wunsch nach Kaffee, wenn die Schatten länger wurden. In wagemutigen Momenten entschlossen wir uns, die wenigen hundert Meter an der Strandpromenade entlang zu gehen, dorthin, wo es die leckersten Waffeln gab, die ich je gegessen habe. Frisch, noch ganz warm, dick und luftig locker zugleich, den Bauch angenehm wärmend. Das war es auch schon. Ich merkte, wie ich begann, das Wollen einzustellen. Kein Ausflug, keine Lust auf mehr Leute, keine postalischen Verpflichtungen, kein irgendwas.

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Wir blieben am Strand bis die letzten Sonnenstrahlen hinter den Häusern verschwanden. Es ist die schönste Stunde für mich am Meer. Der Trubel hat sich gelegt. Das Licht streift noch einmal sanft über die Küste bevor es sich dann viel zu schnell endgültig verabschiedet. Am Abend in der Ferienwohnung drückte ich mich so lange ans Fenster bis der kleine Streifen Meer, den wir von dort aus sehen konnten, von der Dunkelheit verschluckt wurde. Ein kleines Glas Wein, nachdem das Söhnchen eingeschlafen war und der Mann wieder geweckt, beendete den Tag. Die mitgebrachten DVDs blieben ungesehen, zum Lesen war ich abends schon zu müde.

Der Höhepunkt dieser wenigen Tage war dann doch ein kleiner Ausflug. Zum Lieblingsort, der besucht wird wie ein alter Freund. Er verhielt sich dann auch, wie man das von einem alten Freund erwarten darf. Beim Spaziergang  über die sommerlichen Felder im goldenen Licht der späten Nachmittagssonne kreuzte ganz entspannt ein Fuchs unseren Weg. Er konnte uns nicht wittern, fühlte sich völlig ungestört. Zu spät fiel mir meine Kamera ein, die ich um den Hals hängen hatte. Kurz geärgert und losgelassen. Ich hatte ja das Wollen eingestellt.

 

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6 Gedanken zu „Das Wollen einstellen

  1. Schön. Das Nicht-Wollen. Loslassen. „Urlaub – das ist Wahrnehmen ohne Analysieren“, sagte ein guter Freund. Passt. Finde ich.

    Ich freue mich auf weitere Texte von dir.

    Herzlich, I.

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  2. wie gut es tut, das eintauchen in deine worturlaubswelt, so frei fühlt es sich an. (und ich bin genau so eine :: das geplante ertrag ich nicht, mehr ordnung stell ich mir indes überaus attraktiv vor.)

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    • Liebe Ulma, wie schön von Dir hier zu lesen. Deinen Fuchs mag ich so sehr (und so viel mehr). Attraktiv ist ein sehr schönes Wort in Zusammenhang mit Ordnung, klingt einladend, nicht so lehrerstreng. Das nehme ich gern mit. Danke Dir!!

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